Kapitel 2

Am Abend dieses denkwürdigen Tages passierte das, was gerne passierte, wenn auf Wolland nach einer Zeit von „zu Tode bärtrübt“ eine Phase von „himmbärhochjauchzend“ folgte: Bär für Bär trudelte – beinahe zufällig – bei Einbruch der Dunkelheit auf dem großen Platz mitten im Dorf ein, auf dem – zufällig natürlich – jemand ein großes Feuer entzündet hatte, und zufällig fanden sich in den mitgebrachten Körben Leckereien für jeden und jeden Geschmack. Die Bären nannten so was: I wennt. Bei solchen I wennts bot es sich natürlich an, eine großartige Geschichte zu hören, oder aber: wenn man eine großartige Geschichte hören wollte, bot es sich an, ein I wennt anzuleiern…und welcher Tag wäre auf einer Insel, auf die sich seit Jahren nichts mehr verirrt hatte als das Gaan am Strand, dazu besser geeignet als einer, an dem es einen Klabautermann an den Strand gespült hatte?
Genau!
Als der letzte Rest Sonnenlicht hinter der Meer-Himmelgrenze verschwunden war und die Mondsichel gerade hoch genug über den Bäumen auftauchte, dass der Nachtdrache mit seiner Pfeife Wolken an den Himmel malen konnte, war der Platz rappelvoll mit plappernden, brummenden, schmausenden, singenden und vor allem neugierigen Bären. Immer häufiger schielten immer mehr von ihnen „unauffällig“ hinüber zum Hause des alten Alfonse. Ausgerechnet die heimlichen Hauptbärsonen dieses I wennts hatten sich bisher nicht blicken lassen. Lediglich Donna Esbäranza lehnte – hinter ihrem Fächer freundlich lächelnd – an der großen hohen Säule, die mitten auf dem Dorfplatz stand. Allein das wäre schon ein Grund für ein I wennt gewesen. Denn kaum ein Bär konnte sich daran erinnern, Esbäranza lächeln gesehen zu haben. Erst jetzt konnte man sich vorstellen wie hübsch sie in ihrer Jugend gewesen sein mochte! Aber ihr war kein Wort zu entlocken, nicht, woher sie den Klabautermann kannte, woher er kam, was Alfonse mit ihm zu schaffen hatte, noch, was nun passieren sollte? Denn immerhin gab es ja noch den Priif und Bärlins Anweisung.

In der guten Stube von Alfonse prasselte währenddessen im Kamin ein Feuer. Alfonse und Archie saßen Pfeife schmauchend auf den riesigen So Far, mit roten Wangen und zufriedenen Gesichtern fröhlich vor sich hin schweigend (das geht nicht, meint ihr? Oh doch! Man muss es üben, jungen Geschöpfen gelingt es so gut wie nie, weiblichen grad gar nicht, mittelalte habe für so was gar keine Zeit keine Zeit, aber wenn man so alt ist wie Alfonse, dann ist es ein Genuss!)
Miaou lag zusammengerollt in ihrem Körbchen und döste.
„Mächtig viel los da draußen, was?“ fragte Alfonse aus seiner Rauchwolke heraus und stieß dabei lauter Rauchkringel hervor.
„Kann man wohl sagen“ brummte Archie zurück und aus seinem Mund kamen lauter Rauchschiffe, denen Alfonse neidisch nachschaute.
„In einer Gegend in die es mich einmal verschlagen hat, weil ich nach einer durchzechten Nacht so lange geschlafen hab’, dass ich nicht merkte, dass ich nicht auf meinem Schoner war sondern auf einem Binnenschiff, würde man jetzt sagen: Mehr Betrieb als auf dem Düsseldorfer Hauptbahnhof!“
„Und wo soll das gewesen sein?“ fragte Alfonse, und diesmal schaffte er es kleine Würfel aus dem Rauch zu formen.
„Ach. Das war so eine flunderflache Auenlandschaft mit Bäumen an den Flüssen, denen jedes Jahr neue Perücken wachsen, weil man aus den Ästen Körbe flechten kann. Dort gibt es Zuckerrübenfelder ohne Ende“ (Ihr merkt es schon, der I wennt ist eine Weile her) „und wunderschöne blaue Blüten, aus deren Stengeln man etwas macht, das aussieht, wie euer Gaan. Aber es ist noch fester und heißt Lei Nen. Die Gegend nennt sich Niebärrhein.“

In diesem Augenblick passierten etliche Dinge gleichzeitig.
(Ich liebe solche Momente! Da ist immer so viel los!)
Alfonse riss Maul und Nase auf, seine Pfeife fiel aus seinem Mund und plumpste in sein Glas, das daraufhin seinen Inhalt laut zischend in den Kamin schickte. Miaous Hundekopf schoss nach oben, sie starrte Archie an und erklärte alles mit einem bärherzten „Wuff“. Draußen vor dem Fenster fiel mit lautem Getöse Rubeus Dornfelder von einer seiner Kisten mitten in Alfonses Rosenbeet. Er hatte gelauscht, weil ihm Archies Andeutung über den Zweck seiner großen Suche doch sehr nachdenklich gestimmt hatte und er frühzeitig über die weitere Entwicklung Bescheid wissen wollte. Archie seinerseits flog aus dem Sessel, griff aus dem Fenster, schnappte sich den jammernden Rubeus im Genick, setzte zu einer Schimpfkanonade an, ließ ihn aber statt dessen wieder in die Rosen fallen und stammelte: „Meine Kisten! Wie? Woher…?“
Bevor das Tohu-Bär-Bohu noch größer werden konnte, bellte von der Tür her ein helles aber bestimmtes „STOP! Meine Herren, wir sollten uns der Meute da draußen stellen und einige Fragen klären.“
Mit einem Blick auf den Priif in Esbäranzas Hand schloss Alfonse seine Schnauze und nickte. Archie holte noch einmal Luft, zeigte mit dem ausgestreckten Finger auf das Rosenbeet, winkte dann ab und folgte den beiden. Rubeus schlich mit hängendem Kopf und der Kiste unter dem Arm hinter ihnen her.